Projekt Altenknüpfer
Projekt Altenknüpfer
Von Sonja Wörtmann - Im Milleniumsjahr 2000 haben mein Mann und ich einen folgenschweren Entschluss gefasst: Wir verkaufen unser Einfamilienhaus!
Gründe:
Demnächst beginnt unser 3. Lebensabschnitt (mein Mann war damals 58 und ich 55).
Meine Knie funktionieren nicht mehr so gut (50 Treppen und 3 Etagen).
Unser einziger Sohn verstarb.
Wenn wir uns noch mal verändern wollen, müssen wir das frühzeitig machen.
Diese Gedanken machen sich noch mehr Menschen, sei es, dass sie „reparaturbedürftig“ sind, die Kinder glücklicherweise in Lohn und Brot und vielleicht weit weg sind, vielleicht ist eine größere Lebensversicherung zu erwarten oder auch etwas anderes.
Kriterien:
Alles auf einer Etage, Aufzug, Hausmeisterservice, Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, , Straßenbahnanschluss, Stadtnähe für Kulturelles, Spaziergangsmöglichkeiten, nicht zuletzt das Fitnessstudio.
All das fanden wir in einem Objekt im Scharnhauser Park, Helene-Lange-Straße, Ostfildern.
Nun hatten wir das große Glück, dass 2 Ehepaare sich noch mehr Gedanken über neue Wohnformen im Alter gemacht haben z.B. Die Wabe. Leider – für uns Gott sei Dank – ließ sich dieses Projekt nicht verwirklichen. So haben auch diese Leute jeweils eine Wohnung in der Helene-Lange-Straße gekauft. Durch ihre Vorerfahrung haben sie für ein frühes Kennenlernen der neuen Eigentümer gesorgt. Sie haben bewerkstelligt, dass sich die Käufer lange vor Fertigstellung der beiden Häuser in einem nahe gelegenen Lokal getroffen haben. Hier hat man sich vorgestellt – es wurde auch mal nachgefragt: Haben Sie schon Enkelkinder…? . Ausserdem hat man gleich ganz praktische Dinge geregelt: evtl. gemeinsame Bestellungen für Parkett oder Küchen, Einzugstermine (dass nicht alle am gleichen Tag einziehen, wäre bei 2 x 10 Familien ein schönes Durcheinander). Soweit zur Vorgeschichte.
Nun wohnen wir seit November 2001 in 2 „Stadtvillen“ mit je 10 Wohnungen und einer gemeinsamen Tiefgarage.
Ich mache jetzt mal einen Sprung und erzähle Ihnen vom vergangenen Monat März einiges, was mit den Altenknüpfern zu tun hat:
Samstag, 8.3.08, 9.00 Uhr: Frühstück bei Pia (Witwe mit 75, in ihrem Einfamilienhaus wohnt der Sohn mit Familie und er hat für sie eine Dachterrassenwohnung gekauft). Elf Altenknüpfer frühstücken gemeinsam im Wohnzimmer. Ausser fürs leibliche Wohl gibt es noch einen Frühlingstext und Überlegungen, was so ansteht und noch geplant werden könnte. Z.B. der Besuch der Pop-Art-Ausstellung in der Staatsgalerie. Wir organisieren uns eine eigene Führung und laden noch ein paar andere hinzu.
Montag, 10.3.08, 19.30 Uhr: In unserem Stadthaus ist im Rahmen der Demenzkampagne Ostfildern ein festlicher Nachbarschaftsabend mit Prof. Dörner und einer Talkrunde mit Menschen, die mit Alzheimerpatienten Berührung haben. Der Clou an dieser Veranstaltung, man konnte sich nur anmelden, wenn man mit einem Nachbarn kommt. Wir haben unsere polnischen Nachbarn von gegenüber mitgebracht (ca. 50 Jahre alt). Auch die anderen Altenknüpfer haben Nachbarn mitgenommen.
Eine Woche später am Mittwoch, 19.3.08, 19.00 Uhr: Mit einem Ehepaar aus der Gruppe der Altenknüpfer besichtigen wir das Presshaus in Stgt.-Möhringen.
Freitag, 21.3.08, ca. 11 Uhr: Claus (die gute Seele unserer Häuser) hat seinen 73. Geburtstag. Einige der Altenknüpfer kommen zum Gratulieren zu einem Ständerling.
Donnerstag, 27.3.08, 17.45 Uhr: Abfahrt mit der Straßenbahn zum Kulturbesen nach Stgt.-Feuerbach. Alle 11 Altenknüpfer sind dabei + eine jüngere Nachbarin.
Sonntag, 30.3.08, 11.00 Uhr: 4 aus unserer Gruppe sind im Haus der Geschichte. Baronin Freifrau von Berlichingen wird vorgestellt, zusammen mit ihrem Mann dem früheren Bundespräsidenten Roman Herzog.
Wer oder was sind diese Altenknüpfer?
Die 2 Ehepaare vom Anfang, hatten die Idee, dass sich die älteren Mitbewohner etwas näher kennenlernen sollten. Frei nach Christian Morgenstern: „Einander kennenlernen heißt: lernen, wie fremd man einander ist.“ So entstand der Gedanke, dass sich alle Rentner/innen und Pensionär/innen aus unseren zwei Häusern jeden 2. Samstag im Monat reihum zu einem Frühstück treffen. Ziel sollte nicht primär ein Kaffeeklatsch sein – das auch – aber wir wollten ein kleines aber feines (Zitat Ulrich 75) Netzwerk beginnen. Erika (69) erfand den genialen Namen ALTENKNÜPFER
In unseren beiden Häusern leben 5 Paare über 60 und eine Witwe. Sie legt übrigens jeden Morgen einen Stein vor die Türe von Elke und Claus wenn sie ihre Zeitung holt. Liegt er bis 11.00 Uhr nicht da, wird nachgefragt.
Alle haben sich bewusst für diese Wohnform - wie eingangs beschrieben - entschieden. Sie wollen fürs Alter vorsorgen, nicht nur versicherungstechnisch sondern durch Nachbarn, die sich kümmern. Nun fallen diese „Kümmerer“ nicht vom Himmel. Was kann man dafür tun? Wir haben versucht, uns mit den verschiedensten Aktivitäten etwas näher zu kommen. Eine ausführlichere Auflistung liegt auf, und Sie können sie mit nach Hause nehmen.
Apropos Liste: Wir haben eine so genannte „Benachrichtigungsliste“ erstellt.
Einige Beispiele will ich benennen:
- Erste-Hilfe-Kurs
- Pflegetag mit einem Krankenbett als Demonstrationsobjekt im evangelischen Gemeindehaus hier durch eine Mitarbeiterin der Diakoniestation (sie wohnt bei uns im Haus; ausserdem wohnen hier 3 weitere Altenpfleger/innen, 2 Krankenpfleger/innen und eine Ärztin – so ein Glück!)
Hier möchte ich unbedingt darauf hinweisen, es ist überhaupt nicht unser Ziel, uns gegenseitig zu pflegen. Das sollen professionelle Kräfte machen! Wir wollen achtsam sein!
- ADAC-Senioren-Sicherheitstraining
- diverse Gespräche beim Frühstück beispielsweise mit Frau Hafner, der neuen Pfarrerin, der Zuständigen für Altenarbeit in der Kommune…
- Kulturelles z.B. Theater, Kabarett, Kino, Ausstellungen…
- Teilnahme am Mittagstisch im kommunalen Treffpunkt usw. …
Was ist uns noch wichtig? Wir leben mit 14 anderen Familien oder Singles zusammen. Auch die sind uns wichtig. So gibt es bei uns viele andere gemeinsame Aktivitäten. Auch hier wieder nur ein paar Beispiele:
- begonnen hat es mit dem gemeinsamen Erwerb einer Holzskulptur aus den Restbeständen der Landesgartenschau vor unserer Haustüre. Der Bauträger fand die Idee so gut, dass er eine großzügige Spende dazu gab.
Unsere Nacktschneckenjägerin wurde mit einer großen Einweihungsparty auf den Namen Helene getauft.
- Besuch des Esslinger Weihnachtsmarktes, Zwiebelfest
- gemeinsame Hausputzete mit nachfolgender Hocketse (Biertischgarnitur wurde aus der Gemeinschaftskasse erworben)
- Brunch beim türkisch-deutschen Frühstück in der Dieselstraße, Anmerkung: wir sind multikulti (3 russischstämmige Familien, 2 kroatische, 1 bosnische, 2 türkische, 1 polnische )
- Wir haben unsere jüngeren Mitbewohner/innen auch zu diversen Frühstücken eingeladen.
- Seit mehreren Jahren ist am Abend des 5. Januar unser traditionelles Neujahrsfest in der Waschküche mit internationalem Büffet.
Zusammenfassung:
Für das Gelingen einer solchen Altenknüpfer-Gruppe ist es von großem Vorteil, wenn man in einem Neubau gemeinsam beginnen kann.
- wäre eine wichtige Aufgabe für die Bauträger, bereits im Vorfeld etwas anzubieten.
Es gibt hier mehr Bereitschaft auf Neues.
(Jedoch sollte man unbedingt tolerieren, wenn nicht jeder mitmachen möchte. Oberstes Prinzip sollte die Freiwilligkeit sein, evtl. auch nur partielle Beteiligung.)
Ein gemischtes Wohnumfeld: Kinder, Familien, Singles, Jung und Alt.
Es braucht einen „Erreger/in“.
Kontinuierliche Treffen, dass man sich besser kennen lernt und vertrauter wird, d.h. sich trauen, den anderen um etwas zu bitten, was viel schwieriger ist, als einer Bitte nachzukommen.
im Scharnhauser Park, Ostfildern